Operative Erdbebenprognose - Was ist das und wie funktioniert es?

Obwohl Erdbeben nicht deterministisch vorhergesagt werden können, können operative Erdbebenprognose-Systeme wertvolle Einblicke in die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Beben geben.

Searles Valley Erdbeben
Verwerfungsbruch des Erdbebens der Magnitude 7,1 im Searles Valley, Kalifornien, im Juli 2019, weniger als zwei Tage nach einem Erdbeben der Magnitude 6,4 in derselben Region. (Bild: Ben Brooks/ USGS)

In Kürze

Unser Verständnis von Erdbeben hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert, jedoch können ihr genauer Ort, Zeitpunkt und ihre Stärke immer noch nicht vorhergesagt werden. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können jedoch anhand vergangener Erdbebensequenzen die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Beben einschätzen.

Eine neue Studie in Reviews of Geophysics untersucht operative Erdbebenprognose-Systeme (OEF) weltweit und wie sie genutzt werden, um Entscheidungsträger zu informieren. Die Hauptautorin, Leila Mizrahi, gibt im Folgenden einen Überblick über OEF-Systeme, was Expert:innen darüber sagen und welche Aspekte noch verbessert werden müssen:

Was ist «operative Erdbebenprognose» (OEF) in einfachen Worten?

Leila Mizrahi
«Bei der operativen Erdbebenprognose berechnet eine autorisierte Institution die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb eines bestimmten Gebiets und Zeitrahmens Erdbeben auftreten.»
Leila Mizrahi
Leila Mizrahi, Postdoktorandin beim Schweizerischen Erdbebendienst an der ETH Zürich

Diese Wahrscheinlichkeiten basieren auf der aktuellen Erdbebenaktivität und werden mit dem Katastrophenschutz, Regierungsbehörden oder der Öffentlichkeit geteilt, um ihnen zu helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen.

Es ist wichtig, zwischen Erdbebenprognose und Erdbebenvorhersage zu unterscheiden. Es ist nicht möglich, den genauen Ort, Zeitpunkt und die Stärke zukünftiger Erdbeben vorherzusagen. Allerdings können Muster, die in früheren Erdbebensequenzen beobachtet wurden, genutzt werden, um Aussagen über mögliche zukünftige Ereignisse in einer laufenden Erdbebensequenz zu treffen. Die wichtigsten Bestandteile von Erdbebenprognose-Modellen sind das Wissen über das Clusterverhalten von Erdbeben in Raum und Zeit sowie die Häufigkeitsverteilung der Erdbebenstärken.

Welche Beispiele für operative Erdbebenprognose-Systeme (OEF) gibt es weltweit und wie unterscheiden sie sich voneinander?

Nur wenige Länder haben derzeit OEF-Systeme im Einsatz. In unserer Übersicht besprechen wir drei Beispiele: die OEF-Systeme von Italien, Neuseeland und den USA. Diese drei Systeme unterscheiden sich in verschiedenen Aspekten, die wir kategorisieren in Aspekte betreffend der zugrunde liegenden Modelle, betreffend der Art, wie diese getestet werden, und betreffend der Kommunikation der Prognosen.

Alle Länder verwenden Modelle mit unterschiedlicher Komplexität, aber die grundlegenden Prinzipien der Modelle sind ähnlich. Die Modelle wurden mit verschiedenen Arten von Tests und unterschiedlichen Testschemata bewertet. Auch die Kommunikation der Prognosen unterscheidet sich stark. In Italien werden die Prognosen regelmäßig wöchentlich erstellt, während in Neuseeland und den USA Prognosen für bestimmte Erdbebensequenzen ausgegeben werden. Die Art und Weise, wie die Wahrscheinlichkeiten visualisiert oder in praktische Informationen übersetzt werden, reicht von interaktiven Karten, Tabellen und Zeitreihen über Beschreibungen wahrscheinlicher und weniger wahrscheinlicher Szenarien bis hin zu Informationsblättern, die eine Sammlung nützlicher Daten enthalten.
 

Operative Erdbebenprognose
Bildschirmfoto der grafischen Benutzeroberfläche des OEF-Italy-Systems. (Bild: Leila Mizrahi/ ETH Zürich)

Warum haben so wenige Länder OEF-Systeme?

Mehrere Faktoren können die Einrichtung von OEF-Systemen verhindern, darunter unzureichende Daten, Wissenslücken, begrenzte Ressourcen oder fehlende Richtlinien, die dafür benötigt würden.

Wie die stark unterschiedlichen OEF-Systeme in Italien, Neuseeland und den USA zeigen, gibt es kein allgemein anerkanntes Standardmodell, das verwendet werden sollte, keine vereinbarten Tests, die ein Modell bestehen muss, um als geeignet für die Erdbebenprogose zu gelten, und keine einheitliche Methode, um Erdbeben- oder Schadensprognosen zu kommunizieren.

Aus diesem Grund umfasst unser Artikel auch die Analyse einer Expertenbefragung, bei der eine Gruppe internationaler Erdbebenprognose-Expert:innen nach ihren Meinungen zur Entwicklung, Testung und Kommunikation von Erdbebenprognosen befragt wurde.

Welche allgemeinen Empfehlungen haben Expert:innen für die Entwicklung, Testung und Kommunikation von Erdbebenprognosen?

Die Expert:innen zögerten insgesamt, bestimmte Modelle oder Tests ausdrücklich zu empfehlen. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass das Epidemic-Type Aftershock Sequence (ETAS)-Modell ein guter Standardansatz sei. Dieses Modell berücksichtigt, dass Nachbeben eines Erdbebens selbst wieder Nachbeben auslösen können, was zu Kaskaden von Nachbeben führt. Die Expert:innenengruppe betrachtet dies als eine wichtige Eigenschaft des Modells. Zudem wird empfohlen, mehrere Modelle zu kombinieren und in sogenannten Modell-Ensembles zu verwenden.

Bezüglich der Modelltests empfehlen die Expert:innen den Vergleich mit Benchmark-Modellen, prospektive Tests (also Tests mit zukünftigen Daten, die beim Erstellen der Prognose noch nicht existierten), Transparenz und Reproduzierbarkeit. Es ist wünschenswert, den Quellcode der Modelle und archivierte Prognosen der Fachgemeinschaft offen zur Verfügung zu stellen. Bei der Kommunikation von Prognosen betonten die Expert:innen, dass Kommunikationsprodukte in Zusammenarbeit mit den Nutzer:innen der Prognosen entwickelt werden müssen.

Welche zentralen Herausforderungen und Chancen gibt es bei der Verbesserung der operativen Erdbebenprognose?

Die derzeit für OEF verwendeten Modelle haben eine gemeinsame Einschränkung: Sie können zukünftige große Erdbeben nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit vorhersehen. Aktuelle Bemühungen zur Verbesserung der Prognosefähigkeiten umfassen das Einbeziehen von Wissen über physikalische Prozesse in bestehende Modelle, das Erkennen von Vorläufersignalen, die Nutzung von Erkenntnissen aus der seismischen Forschung im Labor oder den Einsatz von maschinellem Lernen und neuartigen hochauflösenden Datensätzen. Es bleibt jedoch unklar, ob eine deterministische Erdbebenvorhersage jemals möglich sein wird.

Das Collaboratory for the Study of Earthquake Predictability (CSEP) widmet sich der Förderung offener und langfristiger Forschung zur Erdbeben-Vorhersagbarkeit. Dazu gehören die Bereitstellung von Open-Access-Software-Toolkits und Reproduzierbarkeitspaketen sowie Forschung zur Diversifizierung der in prospektiven Drittanbietertests verwendeten Methoden. Bezüglich der Kommunikation von Erdbebenprognosen sind zukünftig systematische Tests erforderlich, um zu untersuchen, wie Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber hoher Auswirkung am besten an gesellschaftliche Akteure kommuniziert werden können. Dies wird die Entscheidungsprozesse der politischen Entscheidungsträger sowie die Wahrnehmung und Reaktionen der Bevölkerung auf Erdbebenprognosen unterstützen.

Dieser aus dem Englischen übersetzte Artikel wurde zuerst am 29. August 2024 in Eos publiziert.

Literaturhinweis

Mizrahi, L., Dallo, I., van der Elst, N. J., Christophersen, A., Spassiani, I., Werner,
M. J., et al. (2024). Developing, testing, and communicating earthquake forecasts: Current practices and future directions. Reviews of Geophysics, 62, e2023RG000823. doi: externe Seite doi.org/10.1029/2023RG000823

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