Luca Dal Zilio erhält den Prix Schläfli 2022 in Geowissenschaften

Grosse Erdbeben sind Jahrhundertereignisse mit verheerenden Auswirkungen. Luca Dal Zilio hat ein Modell entwickelt, das die Entstehung solcher Ereignisse sowohl zeitlich wie geographisch darstellt und damit wichtig für die Risikoprävention werden könnte.

Luca Dal Zilio
Luca Dal Zilio (Bild: Victoria Lasheras)

Die Berge faszinierten Luca Dal Zilio schon als Kind. Aufgewachsen in Treviso, im Nordosten Italiens, hatte er den südlichen Alpenbogen sozusagen vor der Haustür – und erkundete ihn als leidenschaftlicher Berggänger. Aus der praktischen Begehung wurde später die wissenschaftliche Auseinandersetzung: Luca Dal Zilio studierte Geophysik an der Universität Padua und kam dann für seine Doktorarbeit an die ETH Zürich. Hier entwickelte er ein Modell, das die langfristige geologische Entwicklung und die Prozesse der Entstehung von Erdbeben über Plattengrenzen hinweg miteinander verknüpft. Das Modell liefert Erkenntnisse darüber, wie sich tektonische Verwerfungen über Millionen von Jahren entwickeln und wie diese bei grossen Erdbeben innerhalb weniger Sekunden aufbrechen.

«Erdbeben vorherzusagen ist unmöglich» 

Mit anderen Worten: Dal Zilios Arbeit könnte helfen abzuschätzen, unter welchen Bedingungen ein verheerendes Erdbeben auftritt – und damit die Grundlagen für ein Risikomanagement und ein Frühwarnsystem legen. Allerdings betont der Forscher: «Ich würde niemals wagen, ein Erdbeben vorherzusagen – das ist unmöglich. Meine Studien zielen vielmehr darauf ab darzustellen, was unter den spezifischen Bedingungen passieren könnte.»

Die Einzigartigkeit seines Modells liegt darin, dass der italienische Forscher dafür unzählige Daten kombiniert hat: Feldbeobachtungen, seismische Überwachung, Laborexperimente und theoretische Wissenschaft. Gerade letzteres ist wichtig: Denn grosse Erdbeben sind quasi Jahrhundertereignisse, die an einem Ort vielleicht alle 100 Jahre oder noch seltener auftreten. Sie entstehen in einem sehr kleinen, begrenzten Raum, klassischerweise dort, wo sich Erdplatten übereinander schieben. Die Auswirkungen liegen aber sowohl zeitlich wie auch geographisch an einem anderen Ort. Weil aufgrund der Seltenheit solcher Ereignisse empirische Daten keinen statistischen Wert haben, hat Dal Zilio alle verfügbaren Daten gesammelt und untersucht welche physikalischen Voraussetzungen langfristig Erdbeben und damit Schäden provozieren könnten.

Die ETH ist in dieser Forschung führend. Das mag auf den ersten Blick erstaunen. Doch weil die Schweiz sehr dicht bebaut und besiedelt ist, können bereits kleinere Erdbeben grosse Schäden verursachen. Es ist also auch von ökonomischer Bedeutung zu verstehen, wie Beben entstehen. So injiziert ein ETH-Forschungsteam in einem Felslabor im Bedrettotal Flüssigkeiten in den Felsen, um zu untersuchen, ob diese ein Beben triggern können. «Natürlich nur so, dass nicht wirklich was Schlimmes passiert», wie Dal Zilio versichert.

Injection strategies
Modellierung von Injektions-Strategien für das ERC-Synergieprojekt FEAR im Bedretto Underground Laboratory for Geosciences and Geoenergies (BULGG). Mithilfe numerischer Simulationen dynamischer Brüche wird die Ausbreitung seismischer und aseismischer Rutschungen untersucht, die durch Injektion von Flüssigkeiten ausgelöst werden. Es wird quantifiziert, wie Vorspannung, Injektionsrate, Permeabilität und andere Eigenschaften des Flüssigkeitstransports die Migrationsrate der Rutschfront beeinflussen.

Dass er für seine Modellierung ausgerechnet in der Schweiz mit einem prestigeträchtigen Preis ausgezeichnet wird, bedeutet dem Italiener, der am Ende seiner Dissertation auch in der «Erdbebenhochburg» Kalifornien gearbeitet hat, sehr viel. «Die Schweiz ist meine zweite Heimat – meine Freundin ist Schweizerin, und hier wird Wissenschaft auf höchster Stufe betrieben. Die Menschen hier sind hoch motiviert, die Grenzen unseres derzeitigen Wissens zu erweitern.» Mit der Doktorats-Anstellung an der ETH sei für ihn ein Traum wahr geworden – auch wenn er, wie wohl alle Doktorierenden – manchmal kurz davor gewesen sei, aufzugeben.

«Zu forschen ist ein Privileg»

«Ich habe mit der Zeit aber gelernt, mit den Höhen und Tiefen umzugehen, die mit dem Lösen wissenschaftlicher Probleme einhergehen», sagt er. Während er seine anspruchsvolle wissenschaftliche Aufgabe verfolgt, ruft er sich auch immer wieder in Erinnerung, den Prozess auf dem Weg zu geniessen: «Zu forschen ist ein Privileg – und du solltest dieses Privileg geniessen», sagt er. Und so hofft er, dass er auch künftig zu den Privilegierten gehört. Er würde gerne als Professor seine eigene Forschungsgruppe aufbauen. «Ideen auszutauschen und etwas von Grund auf zu erforschen, ist toll», sagt er. «Aber ich liebe es auch, zu unterrichten, anderen als Mentor zu dienen.» Und schliesslich möchte er mit seiner Arbeit auch was erreichen – wenn es auch in der Erdbebenforschung naturgemäss etwas länger dauert. Die Faszination für Berggipfel hat ihn jedenfalls bis heute nicht losgelassen: In seiner Freizeit schwingt er sich gerne in den Rennradsattel und fährt von seiner Wahlheimat Winterthur Richtung Alpen. «Endlich hat die Saison begonnen», sagt er. «Das ist wunderschön.»

Dieser Artikel wurde am 17.05.2022 im externe Seite SCNAT netzwerk von Astrid Tomczak-Plewka publiziert.

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